Akrobatik ist ein Lebensweg

Interview mit Cornelia Clivio, Scacciapensieri

Cornelia, du bist ursprünglich Mittelschullehrerin für Franz und Italienisch, hast später jedoch dein Hobby Akrobatik zum Beruf gemacht. Wie erreicht man die Verwirklichung eines solchen Traums?

Ich war von Kind an schon immer völlig fasziniert von der Akrobatik und der Bühne. Diese Leidenschaft stand bei mir immer Vordergrund, doch habe ich mir zunächst nicht zugetraut, daraus einen Beruf zu machen. Nach dem Abschluss vom Studium hatte ich eine „sichere Ausbildung“ und dann habe ich mir gesagt: Ich will nicht 30 Jahre alt werden und mir vorwerfen, irgendetwas verpasst zu haben im Leben – jetzt versuche ich es noch. Ich habe die Wohnung aufgegeben, die Stelle gekündigt und bin nach Paris gereist, wo ich eine Zirkus-und Theaterschule besucht habe. Ich bin dort geblieben, bis meine Ersparnisse aufgebraucht waren, dann kam ich zurück, um wieder Geld zu verdienen (damals war es noch unmöglich, als Schweizer im Ausland genügend Geld zu verdienen – ich habe das zwar versucht mit Schwarzarbeit in einer Pizzeria, kam aber damit nicht über die Runden).

Was fasziniert dich an der Akrobatik? Welche Akro-Teile machst du am liebsten? Für welche brauchts am meisten Übung?

Mich faszinieren vor allem die Gleichgewichts- und Kraftfiguren auf den Händen oder auf dem Kopf. Für die Balancefiguren braucht es ein inneres Gleichgewicht – man muss selber mit sich im Lot sein, sonst klappt es nicht!
In der Partnerakrobatik braucht es dann zusätzlich noch viel Vertrauen in den Partner und ein Loslassen der Kontrolle über das eigene Gleichgewicht, da der Untermann immer die Balance macht.

Gibts für dich einen Zusammenhang zwischen dem Erlernen einer Sprache und akrobatischen Kunststücken?

Absolut! es erfordert beides tägliches Training und einen Durchhaltewillen, ein Streben zur Perfektion! Als ich studierte, war es für mich das grösste Kompliment, wenn man mir im Ausland nicht anmerkte, dass ich Schweizerin bin und eine andere Muttersprache habe.

Du hast mehrere Zirkusschulen besucht. Wie sieht der Tagesablauf an solch einer Schule aus?

Das ist ganz unterschiedlich – in Paris stellt man sich wie an der Uni den eigenen Stundenplan zusammen, in Châlons ist richtiger Schulbetrieb mit vorgeschriebenem Tagesablauf, Aufnahmeprüfung und am Schluss des Jahres gibt es eine Abschlussprüfung.

Arbeitest du als Artistin nicht in einer von Männern dominierten Berufssparte?

Je nach Disziplin gibt es mehr Frauen als Männer: die Luftnummern (Trapez, Tuch, Vertikalseil) werden vor allem von Frauen vorgeführt, Kontorsion (Schlangenmensch) und HulaHopp ebenfalls. Dort wo Kraft gefragt ist (Bodenakrobatik, Handstandakrobatik) oder auch viel Mut (auf wackligen Requisiten zu balancieren wie Einrad, freistehende Leiter, Rola, Todesrad) sind die Männer in der Überzahl.
Mittlerweile gibt es viele Schulen, die eine Zirkusausbildung anbieten im Ausland und vom Staat unterstützt und anerkannt werden. Der Weg zum Artisten/zur Artistin steht nun sozusagen „allen“ frei.

Das Artistenleben ist herausfordernd, unstet, vergleichbar mit dem eines Spitzensportlers. Wie schaffst du es, Familie, Training und Beruf unter einen Hut zu bringen?

Dies ist tatsächlich nicht einfach! Ich habe das grosse Glück, dass mein Mann/Partner und ich uns die Betreuung vom Kind aufteilen und zwar zu je 50%! So gelingt es uns einigermassen, Hausarbeit, Training, Büro und Familie unter einen Hut zu bringen. Anstrengend sind die Tourneen geworden, wenn wir unsere Tochter mitnehmen. Wenn wir nach dem Auftritt und Bühnenabbau müde essen gehen wollen und danach nur noch schlafen möchten, ist Irina meist wach und topfit! Sie will dann unterhalten werden und geht erst spät (ca. 2 oder 3 Uhr morgens) ins Bett, wacht aber morgens um 6 oder 7 Uhr wieder auf. Da wissen wir manchmal nicht, wie wir den Tag schaffen sollen mit ein paar wenigen Stunden Schlaf, einem anstrengenden Bühnenprogramm und den langen Autofahrten zwischendurch...

Dein Trainings- und Arbeitspartner ist dein Lebenspartner. Wie schafft ihr es, heikle Situationen in der zwischenmenschlichen Beziehung zu bewältigen?

Wir sind nun seit über 15 Jahren ein Paar und teilen unser Leben wohl intensiver als manches andere Paar. Dass es ab und zu funkt ist normal; vor einem Auftritt oder auch vor einem gemeinsamen Training beseitigen wir aber Missstimmungen, weil sonst die Partnerakrobatik nicht funktioniert (die Tricks klappen nicht!). Offenbar passen wir sehr gut zusammen, haben die gleichen Ziele vor Augen und sind sehr harmoniebedürftig in der Beziehung, dass es bis jetzt so gut gegangen ist!

Ihr bietet recht unterschiedliche Programme an, die Nummer XXL ist z.B. sehr speziell: Welche Aussagen wollt ihr weitergeben?

Diese Nummer ist eine ganz spezielle Darbietung, da wir uns dick und hässlich machen – aber das gibt uns eine neue Freiheit. Normalerweise muss man attraktiv sein auf der Bühne, als Frau gilt das ganz besonders. Von mir war es ein lang gehegter Wunsch, als dicke Frau aufzutreten – entgegen dem allgemeinen Schönheitsideal. Da diese dicken Figuren akrobatisch ja topfit sind, ist es ein sehr positives Bild, das wir vermitteln. Diese Schwergewichtler haben eine eigene Ästhetik und strahlen ein Selbstvertrauen aus, obwohl sie nicht aussehen wie die Models in den Zeitschriften...

Ihr bietet Workshops für Kinder an. Was fasziniert dich an der Arbeit mit Jugendlichen?

Kinder und Jugendliche sind neugierig, offen und haben ein unverkrampftes Verhältnis zu Körper und Bewegung. Das finde ich schön und sollte unbedingt vermehrt gefördert werden, damit es so bleibt.

Was möchtest du den Jugendlichen mit auf den Weg geben?

Akrobatik ist ein Lebensweg! Die tägliche Arbeit am eigenen Körper und mit dem Körper ergibt eine neue Wahrnehmung von sich und der Umwelt.
Partnerakrobatik ist ausserdem ein Können, das viele soziale Fähigkeiten fordert und fördert. Was viele Menschen heute nicht wissen, ist, dass Körper und Geist/Seele in einer engen Beziehung und Wechselwirkung stehen. Daher sollte man sein Leben lang den Körper nicht vernachlässigen – die Befriedigung nach einer körperlichen Leistung ist ein beglückendes und erfüllendes Gefühl, dass einem im Alltag über manche Schwierigkeiten hinweg hilft.


Vielen Dank, Cornelia und weiterhin alles Gute in Familie und Beruf!


Schülerfragen
von Natascha


Sehr viele Akrobaten oder Leute die Kunststücke können, haben sie irgendwo gesehen, dann haben sie angefangen, sich dafür zu interessieren!! Dann haben sie es ausprobiert und festgesstellt, dass sie dafür geeignet sind!!- und jetzt sind sie Profis!!
Wie haben Sie die Kunststücke kennen gelernt? Spielten da Freunde oder andere Leute eine Rolle?

Als Kind bin ich von meinem Götti immer in den Circus Knie eingeladen worden, wenn er in Zürich auf dem Sechseläutenplatz stand. Darauf habe ich mich wahnsinnig gefreut und mich haben immer die Bodenakrobaten am meisten fasziniert.
Später als ich dann Gelegenheit hatte, bei Artisten einen Kurs zu besuchen, habe ich bald gemerkt, dass ich gute Voraussetzungen für die Akrobatik hatte. Dies hat mich natürlich motiviert, weiter zu machen.
Vorbilder hatte ich keine, nur Träume! Ausserdem hatte ich einen grösseren Cousin, der schon immer jongliert hat. Das hat mich bestärkt in meiner Einstellung, dass man auch alleine etwas erreichen kann, wenn man nur hartnäckig daran bleibt und immer fleissig übt!
Der Cousin hat übrigens jetzt eine Kinderzirkusschule in Ottelfingen und ist mittlerweile stolz auf mich!


von Elizabet

Was war für Sie interessanter oder was fanden Sie besser, dass Sie ihren Tagesablauf in der Theaterschule selber gestalten konnten oder dass der Tagesablauf/das Programm schon bestimmt war?

Ich finde es einfacher, wenn der Stundenplan vorgegeben ist, man aber die einzelnen Fächer auswählen kann. So wusste ich, dass ich von 12h00 bis 17h00 in der Circusschule trainieren ging, konnte aber bestimmen, ob ich Jonglage oder Trpaez um 12h00 machen wollte.
Übrigens war auch in der Theaterschule der Ablauf immer vorgeschrieben und wir hatten manchmal auch Hausaufgaben!!


Alles Gute und viel Freude beim Training wünscht
Cornelia Clivio

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